Matthias Kyburz, Sevilla Marathon (Photo: Sean Hardy)
Matthias Kyburz, Sevilla Marathon (Photo: Sean Hardy)

«Vor anderthalb Jahren hätte ich diesen Weg für absolut undenkbar gehalten»

Matthias Kyburz, der achtfache Weltmeister im Orientierungslauf, hat mit seinem erfolgreichen Olympia-Marathon-Projekt die Schweizer Lauf-Welt nachhaltig belebt. Nach seiner jüngsten Marathon-Top-Leistung in Sevilla Anfang März (4./2:06:48 Stunden) stiess er in der Schweizer Allzeit-Bestenliste) auf Position 2 hinter Tadesse Abraham (2:04:40) vor. Wir befragten den 35-Jährigen zu seinen Zukunftsplänen und seinem neuen Standing.

Matthias Kyburz, was hat dein exzellenter Marathon in Sevilla ausgelöst?
Ausgelöst nicht mehr viel. Meine Geschichte mit dem Wechsel vom OL zum Marathon ist bereits letztes Jahr thematisiert worden. Auf persönlicher Ebene aber ist mir die Leistung meines dritten Marathons wertvoll. Ich steigerte mich nochmals um fast eine Minute. Und ich konnte wertvolle Erkenntnisse gewinnen. So bin ich überzeugt, dass ich das Optimum noch nicht erreicht habe.

Zumindest bis Mitte Juli gilt dein Fokus aber wieder dem OL. Du willst in Finnland Weltmeister über die Langdistanz werden, dein neuntes WM-Gold gewinnen und deinem Palmares den «fehlenden Weltmeistertitel» anfügen. Wie planst du den heiklen Wechsel?
Ich habe viel aus den Erfahrungen des letzten Jahres gelernt. Damals kehrte ich nach dem Olympia-Marathon schnell in den OL zurück – und verpasste die angesteuerten Topergebnisse am Weltcup-Final in Finnland. Daraus habe ich gelernt und Schlüsse gezogen.

Heisst?
Ich schenk(t)e der Erholung grössere Aufmerksamkeit. Nach dem Marathon machte ich diesmal zwei Wochen praktisch nichts. Dann begann ich mit Krafttraining. Im OL-Trainingslager mit dem OL-Nationalteam in Slowenien lief ich bewusst nur einmal pro Tag. Meine erste Intervall-Einheit rückte ich erst in der fünften Woche nach dem Marathon ins Programm. Mein langjähriges OL-Coach Daniel Klauser und ich geben uns nun viel mehr Zeit.


Wie sieht das Programm für die nächsten Wochen und Monate aus?

Wir sind nun einmal gestartet. Mein Sieg beim ersten Nationalen OL in Bülach vom letzten März-Samstag tut gut. Aber ich darf ihn nicht überbewerten. Rennen in einem Schweizer Mittellandwald ist etwas völlig anderes als im hohen Norden. Hier hat’s viele Wege, und der Boden ist weniger steinig.

Welche Bedeutung kommt diesem Punkt zu?
Wichtig ist, dass ich die «Geländegängigkeit» muskulär zurückhole. Ich darf nicht mehr «so wacklig» unterwegs sein. Und ebenso wiedererlangen muss ich das technische Niveau. Die Automatismen haben sich noch nicht richtig eingespielt.

Wie geht es jetzt weiter?
Im April investiere ich viel ins Unterwegssein mit Karte und Kompass. Das spezifische Üben rückt in den Trainingslagern in Schweden Ende April und im Mai in Finnland ins Zentrum. Das ist dann ein ganz anderes Laufen. Dort bremsen dich Heidelbeerstauden und Sümpfe. Die Böden sind tief, Kraft ist wichtig.

Wo siehst du die grössten Herausforderungen?
An der Grundherausforderung hat sich nichts verändert: Das Physische mit dem Technischen ideal verbinden. Ich muss im Ruppigen mit den vielen Heidelbeeren einen guten Zug entwickeln und auch dann technisch sauber laufen, wenn’s physisch härter wird.

Dein Grundspeed hat sich aber durch das Marathon-Training verbessert…
Das allein reicht aber nicht. Ich muss über 90 Minuten mit viel Kraft laufen können. Mein Punch ist etwas verloren gegangen. Marathon-Rennen ist gleichmässig. OL ist anders, ist eher wie Velofahren. Da gilt es die richtigen Puzzleteile zu finden, nicht zuletzt die Balance zwischen körperlichem Pushen, subtiler Technik und frischem Kopf.

Die OL-WM ist dein grosses Ziel für den Sommer. Wie soll es anschliessend weiter gehen?
Die Leichtathletik-WM in Tokio gut einen Monat später, habe ich nicht geplant. Mehr Sinn macht für mich ein Marathon im Herbst oder Anfang Winter. Ich möchte den nächsten Marathon mit einer seriösen Vorbereitung in Angriff nehmen.

Und bestehen Plane darüber hinaus?
Eine Riesenmotivation ist die Leichtathletik-EM 2026 in Birmingham. Ich kann mir gut vorstellen, nächstes Jahr voll auf die Karte Marathon zu setzen. Die Sprint-WM im OL hätte dann keinen Platz, da sie im Juli stattfindet, unmittelbar vor der EM in Birmingham.

Gibt es ein Fernziel?
Ich bin seit Februar Profisportler. Damit verbunden ist die Absicht, dies längerfristig zu tun. Olympia 2028 ist sicher ein Thema – als Marathon-Läufer. Und natürlich will ich auch mein Limit in Bezug auf die Marathon-Zeit herausfinden.

Hat der OL da noch Platz?
Das wird sich zeigen. Eine Frage ist, wie gut sich die beiden Sportarten kombinieren lassen und inwieweit ich durch die Doppelspurigkeit profitiere.

Wie hat sich dein Sportlerdenken verändert seit dem Beginn deines «verrückten» Marathon-Olympia-Projektes?
Komplett. Vor anderthalb Jahren hätte ich diesen Weg für absolut undenkbar gehalten. Eher sagte sich mir damals: Stell dich darauf ein: Du wirst nicht mehr schneller. Jetzt aber hat mich der Ehrgeiz gepackt. Das ist unerwartet, spannend und motivierend.

 

Das Gespräch mit Matthias Kyburz führte Jörg Greb.

 

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