Selina Büchel nach dem Halbfinal an der EM 2018 in Berlin (Photo: athletix.ch)
Selina Büchel (Photo: athletix.ch)

Jetzt freut sich Selina Büchel auf den 800-m-Final

Die Saison begann «verknorzt». Und dann Anfang Juli noch die hartnäckige Erkältung. Ohne grosse Erwartungen ist Selina Büchel (KTV Bütschwil) deshalb an die EM nach Berlin gereist. Und ist jetzt im 800-m-Final am Freitag gar nicht ohne Chance.

Wer nicht viel erwartet, hat auch nichts zu verlieren. Es ist wohl gerade diese Einstellung, welche die 27-jährige Toggenburgerin vom KTV Bütschwil bei der EM wieder so richtig in Schwung bringt.

«Ich bin schon happy, dass ich überhaupt hier in Berlin dabei sein kann», hat Büchel Anfang der Woche beim Medien-Treff von Swiss Athletics gesagt. Und dann von ihrer Saison 2018 erzählt. Vom unbefriedigenden Saison-Einstieg von Ende Mai beim Diamond-League-Meeting in Eugene (USA), wo sie nicht auf Touren kam. Vom gut verlaufenen Trainingsblock im Juni, als sie zu Gunsten des Formaufbaus weitgehend auf internationale Starts verzichtete.

Dann, im Juli hätte es mit wichtigen Rennen endlich losgehen sollen. Aber nix ist da! 5. Juli, Tag von Athletissima Lausanne. Am späten Vormittag sitzen zwei Touristen auf einer Parkbank am Hafen von Ouchy. Es sind Heidi und Toni Büchel. Selinas Eltern, aus Mosnang angereist. «Es ist schon sehr schade, dass Selina ausgerechnet hier am Abend nicht laufen kann», sagt Papa Toni. Mama Heidi legt nach: «Ausgerechnet jetzt hat Selina eine böse Erkältung erwischt. Diese kuriert sie zu Hause aus, liegt im Bett.» Freuen auf das Meeting vom Abend tun sie sich trotzdem. «Wir haben ja schon lange Tickets gehabt, so gehen wir auch ohne Selina ins Stadion. Und geniessen vorher den Tag als Touristen am Genfersee.»

Jetzt sind Büchels Eltern auch in Berlin wieder dabei. Nicht mehr bloss als EM-Touristen, sondern sie können sich auch an den starken Leistungen ihrer Tochter wieder freuen. Was die Athletin nämlich in Vorlauf und Halbfinal im Olympia-Stadion bereits gezeigt hat, erinnert an ihre besten Tage. Als sie schon zweifache Hallen-Europameisterin geworden ist – oder an der EM vor zwei Jahren in Amsterdam Vierte.

Vor allem Büchels Halbfinal-Auftritt vom Mittwoch macht richtig Lust auf den Medaillenkampf am Freitagabend. Sie läuft ein Rennen frisch von der Leber weg. Macht keinen taktischen Fehler, sondern sucht sofort die Ferse von Linsey Sharp, der Britin, gegen die sie schon häufig gelaufen ist. Hinter ihr kann sie nämlich sicher sein, beim Fight ums Weiterkommen auf den letzten 150 Metern nicht ausgebremst zu werden. Denn Sharp ist bekannt für ihren starken Finish, wenn die sprintet wird auch für Büchel der Weg nach vorne frei.

Ein Versprechen für den EM-Final
Das befreiende Lächeln der Schweizerin, als sie ungefährdet als Dritte ins Ziel des Halbfinals stürmt, beweist die grosse Erleichterung. Zeigt, wie viel Spass es ihr macht, wieder so stark laufen zu können. Die Zeit von 2:02,84 Minuten spielt dabei gar keine Rolle, denn Büchel hat dafür längst nicht ihre letzten Reserven anzapfen müssen. Im Gegenteil: Ihr Rush zu Beginn der Schluss-Geraden und wie sie den locker bis ins Ziel durchzieht, ist ein Versprechen für den EM-Final.

Fast scheints, als ob Selina Büchel ihre harzige erste Saisonhälfte deshalb so gut wegsteckt, weil sie im Olympia-Stadion bei ihrer dritten Teilnahme an einer Freiluft-EM ohne einen schweren Rucksack voll von hohen Erwartungen läuft.

Wie hat sie doch gesagt? «Ich bin schon happy, dass ich überhaupt hier in Berlin dabei sein kann.»

(cs)