Michi Rüegg (Photo: Swiss Athletics)

„Regelmässigkeit ist das A und O“

Michi Rüegg (45) ist Nationaltrainer Lauf bei Swiss Athletics und Präsident und Elite-Coach des polysportiven Vereins TG Hütten (u.a. mit Fabienne Schlumpf, Chiara Scherrer, Anja Weber, Simon Westermann). Im Interview sagt er, was für Topathletinnen und Topathleten gilt, was für Breitensportlerinnen und Breitensportler.

Michi Rüegg, du hast als Swiss Athletics Nationaltrainer Lauf die letzten Wochen des alten Jahres und die ersten Wochen von 2023 in Portugal im Trainingslager des Verbandes verbracht. Wieso Portugal?

Monte Gordo in der Algarve im Süden Portugals hat sich bewährt. Den Ort und dessen Infrastruktur kennen wir seit Jahren. Sie ist ideal, wenn’s bei uns kalt ist, vielfach Schnee liegt, ist’s dort angenehm warm. Monte Gordo ist einfach, relativ rasch und mit unbedeutender Zeitverschiebung zu erreichen. Und auch aus finanziellen Überlegungen interessant.

Wieso dieser Zeitpunkt?

Die Konzentration aufs Training ist gerade um den Jahreswechsel wichtig. Im Gegensatz zum Zuhause geht es dann nur um den Sport und ums Training. Da gibt es wenig Ablenkung, keine grossen Essen, keine Feiern. Die besten Schweizer Läuferinnen und Läufer schätzen dieses Angebot.

Wer profitierte?

Insgesamt flogen rund 50 Athletinnen und Athleten in den Süden Portugals – das ganze Lauf-Nationalkader. Wobei: Nicht alle waren sämtliche drei Wochen dort. Betreut wurden sie von mehreren Trainerinnen und Trainern und von Physiotherapeutinnen und -therapeuten. Da entwickelt sich immer eine gute Dynamik: gemeinsam laufen, gemeinsam regenerieren.

Für Breitensportlerinnen und -sportler bietet sich solche Möglichkeiten kaum. Wie kommen sie gut durch den Winter?

Diese Aussage will ich so nicht stehen lassen. Es gibt auch für Hobbysportler die Möglichkeit Running-Ferien an der Wärme zu buchen – auch im Winter. Die Anbieter sind zahlreich. Die Krux daran: Leistungssportler auf tieferem Level oder Breitensportler müssen sich fragen, wie viele solcher Trainingslager sie pro Jahr absolvieren wollen und/oder können. Da ziehen sie meist naheliegendere Möglichkeiten im Sommer oder im Frühling vor, etwa in St. Moritz. Aber auch Mallorca oder Andalusien sind gefragt und können für wertvolle Trainingsakzente sorgen.

Grundsätzlich: Eignen sich Trainingslager für Breitensportler?

Jein. Da will ich differenzieren. Wer zwei Mal pro Woche läuft und dann im Trainingslager plötzlich zwei Mal pro Tag, für den oder die wird’s kritisch. Aber für ambitionierte Läuferinnen und Läufer sind solche Wochen sicher eine gute Möglichkeit.

Worauf haben Läuferinnen und Läufer gerade im Winter das Hauptaugenmerk zu richten?

Am wichtigsten ist die Regelmässigkeit. – egal wie häufig jemand läuft. Regelmässigkeit ist auf jeder Stufe das A und O. Sekundär ist, wie viel Zeit eine Person fürs Laufen investiert, ob Wettkämpfe das Ziel sind, oder einzig die Freude oder die Gesundheit. Es gilt: Ausdauersportarten sind umfangsorientiert.

Ganz so einfach ist es aber nicht….

Natürlich. Das Lauftraining ist komplex. Ein Tipp, gerade für Ambitionierte mit vier bis fünf Lauftrainings pro Woche: in verschiedenen Tempi laufen, mal schneller, mal langsamer, mal länger, mal kürzer, je variantenreicher, je sinnvoller. Der Körper passt sich an Veränderungen an. Wer immer gleich unterwegs ist, kommt kaum zu Fortschritten.

Welche Rolle spielen Alternativen wie das Laufband?

Da kommt es aufs Ziel an. Grundsätzlich finde ich: Laufen ist eine Freiluftsportart in der Natur. Bezogen auf die Leistung ist es aber zweitrangig, wo du läufst. Also: Lieber auf dem Laufband als gar nicht.

Wie stellst du dich zu alternativen Varianten?

Je weiter weg von einem Zielwettkampf, desto weniger stellt die Trainingsart den entscheidenden Faktor dar. Alternativtrainings wie Langlaufen, Velo, Crosstraining, Aqua Running, Rudern, Schwimmen usw eignen sich sehr gut. Je näher der Wettkampf kommt, desto spezifischer sollte das Training aber werden.

Wie beurteilst du Krafttraining, allgemeine Konditionstraining, Stretching?

Stretching hat null Einfluss auf die Leistung. Aber es kann verletzungsvorbeugend sein bei Disbalancen, verkürzter Muskulatur – als Therapie. Kraft ist grundsätzlich wichtig – aber nur so lange es nicht auf Kosten des Laufens geht. Wenn du aus zwei Wochentrainings 100 Prozent herausholen willst, dann zählt das Laufen. 

Für wen eignen sich Trainingspläne?

Auch da: Das hängt von der Zielsetzung ab. Wer zwei Mal trainiert, braucht keinen Trainingsplan. Wer aber in sechs Einheiten investiert, sorgt ein Trainingsplan für höhere Effizienz. Dann reicht die Freude allein kaum mehr aus. Ein Plan optimiert einen Fortschritt.

Was antwortest du Läuferinnen und Läufern, die in der kalten und dunklen Jahreszeit zurückstecken und im Frühling neustarten?

Das ist etwas vom Schlimmsten. Die Regelmässigkeit fehlt. Die Gefahr von Verletzungen ist viel höher. Regelmässigkeit ist für die Leistung wie für die Gesundheit wichtig – und ebenso für die Motivation. Laufen ist eine Ganzjahresssportart. Sehnen, Bänder, Gelenke lassen sich so vor Überbelastungen schonen.

Was können Volksläuferinnen und -läufer im Wintertraining von den Spitzenathleten lernen?

Schwierig. Was Spitzenathletinnen und -athleten sicher haben: Ziele. Ziele eignen sich auch für Breitensportlerinnen und Breitensportler. Ein Ziel motiviert, auch wenn es in weiter Ferne liegt. Topsportlerinnen und definieren ihr Ziel spätestens im Herbst, auch wenn es vielleicht erst im kommenden Sommer realisiert werden soll. Solche Ziele machen es einfacher, das Training durchzuziehen.

Und umgekehrt: wie profitieren Profis von den Breitensportlern?

Im Laufbereich ist dies cool. Unterschiedlichste Levels sind oft zusammen; bei den Volksläufen, in den Trainings. Das belebt. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Eine bessere Stimmung. Und ganz explizit: Es zeigen sich die verschiedenen Arten zur Ausübung des Laufsports. Zum Beispiel erkennen Leistungssportler: Es muss nicht immer alles absolut ernst sein, nicht so verbissen.

 

Das Gespräch mit Michi Rüegg führte Jörg Greb

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