Das Schweizer Team in Grosseto (Photo: swiss masters running)
Das Schweizer Team in Grosseto (Photo: swiss masters running)

Die fitten Routiniers

Swiss Masters Running smrun feiert 2023 seinen 50. Geburtstag. Einblick in einen Verein, der keine Lauftrainings anbietet, aber als Interessenvertretung für Läuferinnen und Läufer ab 35 Jahren eine einzigartige Rolle einnimmt – und zum Jubiläum diesen Sommer die Masters Berglauf- und Trail-EM in die Schweiz holt.

Von Robert Peterhans | © FIT for LIFE

1. Juli 1973 in der Aargauer Gemeinde Kaisten. Mit «schön und sehr warm» umschreibt Meteo Schweiz das Wetter an diesem Tag. Im Gasthof Hirschen herrscht Aufbruchstimmung. 26 Männer und 1 Frau treffen sich zur Gründungsversammlung der Läufer-Vereinigung Schweizer Veteranen LVSV. Nicht weniger als eine Art Laufsport-Gewerkschaft soll an diesem Tag aus der Taufe gehoben werden.

«Fünfjahrskategorien bei Volksläufen im Sinne einer sportlichen Gerechtigkeit» lautet die wichtigste Forderung. Weitere vordringliche Anliegen sind die Teilnahme an Internationalen Meisterschaften sowie die Einführung einer Vereinsmeisterschaft. Die einzige Frau bei der Gründung ist mit Edith Holdener eine Laufpionierin. Sie gewinnt in den Folgejahren unter anderem sechsmal den Bieler Hunderter. Heute lebt die einstige Ultraläuferin hochbetagt in der Zentralschweiz. Seine Mutter habe sich mit ihrer Laufpassion immer als Aussenseiterin gefühlt, erzählt ihr Sohn Peter Holdener. «Frauen machen so etwas nicht», habe es geheissen, «schon gar nicht Mütter von zwei Kindern.»

Club mit 1000 Laufsportlern
Den Hirschen in Kaisten gibt es nicht mehr. Doch aus der einstigen Laufvereinigung der Veteranen ist mit aktuell rund 1000 Mitgliedern der grösste Laufclub der Schweiz geworden. 2007 erfolgte die Namensänderung in Swiss Masters Running smrun, angelehnt an Swiss Athletics. Der Schweizerische Leichtathletikverband anerkennt smrun als Vertretung der älteren Strassenläuferinnen und -Läufer. Dazu gehört die Repräsentation als Team Schweiz an internationalen Meisterschaften.

Mit dem Masters Laufcup als jährliche Vereinsmeisterschaft ist eine weitere Forderung aus der Anfangszeit umgesetzt. Und das statuarische Ziel der altersgerechten Kategorien sei ebenfalls erreicht, sagt René Fürst (63), seit 2019 Präsident von smrun. Dies gilt vor allem für den Masters Laufcup, der jeweils 18 Veranstaltungen aus dem Laufkalender umfasst. Nationale und internationale Meisterschaften bis hin zur Marathondistanz sind für die Wertung fix gesetzt.

Die anderen Wettkämpfe werden von einer Arbeitsgruppe jährlich neu evaluiert. Das Hauptaugenmerk gilt dabei Strassen- und Landschaftsläufen mit einer Länge bis rund 15 km. Zusätzlich wird auf eine breite geografische Streuung geachtet. 2023 sind gleich alle vier Landesteile im Laufcup vertreten. Anlässe in der Deutschschweiz dominieren, aus der Romandie, dem Tessin und dem Rumantsch steht jeweils ein Lauf zur Auswahl. Anlässe mit gewohnt guter Beteiligung von Masters-Sportlern wie der Zürcher Neujahrslauf oder der Bremgarter Reusslauf gehören regelmässig zum Cup. Dagegen fehlen Trailläufe bislang in der Auswahl. Diverse geeignete Anlässe führen lediglich Alterskategorien bis W50/M50. So ist das smrun-Engagement weiterhin gefragt.

Wer mit seiner Veranstaltung zu den 18 Wettkämpfen das Masters Laufcups gehören will, muss sich verpflichten, Altersklassen bis W80/ M80 anzubieten. Die Aufsplittung der Resultate in die Fünfjahreskategorien der Laufcup-Wertung wird nach jedem Wettkampf von einem smrun Vorstandsmitglied in minutiöser Kleinarbeit erledigt. Eine kostenlose Dienstleistung für die Mitglieder. Und mehr noch: Wer sechs und mehr Läufe bestritten hat, erhält an der Schlussfeier 60 Franken ausbezahlt! Angesichts des jährlichen Mitgliederbeitrags von 50 Franken ein grosszügiges Handling. Zudem werden Aktivmitglieder ab 75 Jahren automatisch Freimitglieder.

Ehrenamt als Basis
Die unkommerzielle Ausrichtung ist ein wichtiger Teil der Vereinsidentität. Basis dieser Haltung ist die ehrenamtliche Arbeit des Vorstands. Dass smrun in grossen Teilen der Laufszene wenig und in der breiten Öffentlichkeit eigentlich gar nicht bekannt ist, bildet eine Kehrseite des Verzichts auf professionelle Strukturen. Individuelle Leistungen wie jene des zwischenzeitlich 87-jährigen Gregorio Sablone und vieler anderer verdienen eigentlich eine Wahrnehmung über das Vereinsjournal hinaus. Ebenso wie die zahlreichen Medaillen, die an internationalen Meisterschaften regelmässig gewonnen werden.

Der aktuelle smrun Vorstand besteht aus vier Frauen und sieben Männern. Michele Brugnatti ist als 40-Jähriger der jüngste im Gremium. Hinter dem begeisterten Läufer liegen einige schlechte Erfahrungen bei anderen Sportclubs wie etwa einseitiges Leistungsdenken. Umso überzeugter ist er von smrun. Hier zähle der sportliche und familiäre Geist, allfällige Medaillen seien nur eine Folge davon.

Malin Ekdahl gehört ebenfalls zur jungen Generation im Masterclub. Hier werde fast die ganze Breite des Laufsports abgedeckt, so dass sie von mannigfaltigen Erfahrungsschätzen profitieren könne, ohne sich selber in ein bestimmtes Schema quetschen zu müssen, streicht die 36-Jährige als Vorteil heraus. «Und als Läuferin in meiner Alterskategorie bringt es mir das immer wieder unerwartete Attribut «jung», ergänzt Malin Ekdahl lachend, «so kann ich mir auch gut den inneren Kindskopf bewahren.»

Die unermüdliche Jacqueline Keller ist auch bereits mit 35 beigetreten. Dies allerdings schon vor 25 Jahren. Angeworben von ihrem Vater, einem Mitglied aus der Anfangszeit, der dem Verein bis heute die Treue hält. Da sie oft allein an Wettkämpfe reise, fände sie im Zielraum immer einen Platz und jemanden, mit dem sie über den Lauf sprechen könne, erwähnt die ambitionierte Läuferin als einen wichtigen Pluspunkt ihrer Zugehörigkeit. Mit ihrer unbändigen Energie und Bewegungsfreude ist Jacqueline Keller allerdings nicht bloss in einem Sportverein aktiv. Daraus ergibt sich zuweilen die Frage nach dem passenden Vereinsshirt – für die sie eine pragmatische Lösung hat. «An Laufcup-Wettkämpfen ziehe ich das smrun-Shirt an, bei den anderen Läufen das Shirt der LG Horn und am Badener Limmat-Lauf das Leibchen des Schnee- und Aktivklubs STV Baden.»

Wichtig für kleine Events
Der Verein Swiss Runners als Interessengemeinschaft der Laufveranstalter schätzt das Engagement der einstigen Veteranen-Vereinigung. Vor allem für kleinere und mittelgrosse Events sei der Masters Laufcup eine Bereicherung und sorge für einen Grundstock von Startenden, heisst es bei Swiss Runners auf Anfrage.

Ein Blick in die Statistik des Dietiker Neujahrslaufs als Auftakt zum Laufcup 2023 bestätigt diese Einschätzung. Von rund 500 Klassierten in der Zielgruppe ab 35 starteten gut 20 Prozent für smrun. Anders beim Kerzerslauf von Mitte März, wo von mehr als 2600 Klassierten Ü35 Läuferinnen und Läufern rund 130 oder 5 Prozent beim Masters Laufcup mitmachten. Viel für einen einzelnen Verein, aber zu wenig, um für die ganze Breite der älteren Jahrgänge zu stehen. Beim Verein Swiss Runners rechnet man für dieses Jahr mit gesamthaft rund 400 000 Volkslauf-Teilnahmen. Im Rekordjahr des Masters Laufcups wurden rund 2500 Starts verzeichnet. Beidenorts hat die Pandemie in den letzten Jahren für massiven gesunkene Zahlen gesorgt. 

Schwierige Mitgliedersuche
Der grösste Laufverein der Schweiz ist permanent bestrebt, neue Gesichter anzusprechen. Damit steht er nicht alleine. Zudem steht ihm als Challenge ein gesellschaftlicher Wandel entgegen. So zeigen repräsentative Studien, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer heute am liebsten in ungebundener Weise Sport treiben. So auch Esther Bernhard (58). Sie sei nicht so der Vereinstyp, darum sei sie in keinem Verein dabei, sagt die Volksläuferin. Wenn sie mal eine Motivation brauche, bekomme sie Unterstützung von ihren Söhnen, die sie zu den Läufen begleiten oder auch mal mitrennen.

Der Basler Laufpionier Gabor Szirt ist durchaus ein Vereinsmensch. Trotzdem macht er bei smrun nicht mit. Als Leiter des Lauftreffs beider Basel und von Blind-Jogging sei er seit Jahren in einem 120 Prozent Pensum, sagt der 73-Jährige. Mehr habe einfach nicht Platz.

55–70-jährige dominieren
Läuferinnen und Läufer über 35 bilden das Gros der Schweizer Volkslaufzene. Besonders stark vertreten ist dabei die Altersgruppe der 40–49-Jährigen. Bei smrun bilden hingegen die 55–70-Jährigen die grösste Gruppe.

Mit dem Eintritt in die Kategorie der 60-Jährigen erfolgt bei vielen Läuferinnen und Läufern eine Zäsur. Zu bemerken etwa in den Volkslauf-Ranglisten, die bei den Ü60 deutlich kürzer sind als etwa noch bei den 50-Jährigen. Die Gründe sind vielfältig. So ist es als älter werdender Läufer zuerst mal eine Herausforderung, sich von den ganz schnellen Zeiten zu verabschieden und neue Ziele ins Auge zu fassen. Dies gelingt nicht automatisch. Und der Aufwand, so fit zu bleiben, dass eine Wettkampfteilnahme überhaupt noch Sinn und Spass macht, wird im Alter nicht kleiner. Zum Kampf mit der Motivation kommt die wachsende Verletzungsanfälligkeit. «Es kann schnell gehen», sagt Gianni Pirali (63). Nur zwei Wochen nach seinem letztjährigen Sieg bei der Halbmarathon Schweizermeisterschaft in der Kategorie M60 habe er einen Knorpelschaden erlitten. Seither kann er seinen geliebten Sport nicht mehr in der gewohnten Art betreiben.

34 Medaillen an Masters-EM 2022
Stephen Dunlop hat nach seinem Übertritt zu den Ü60 für sich die richtige Mischung gefunden. Er rutscht in den Ranglisten stetig nach vorne, seit acht Jahren als Mitglied von smrun, wo er besonders die Wettkampfreisen und die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen zu messen, schätzt. Er sei im Training und bezüglich Ernährung sehr diszipliniert, führt Stephen Dunlop aus, zudem absolviere er regelmässig Intervalle auf der Bahn und Krafttraining. Übers Limit gehe er dabei nie. Vielleicht mit ein Grund, warum er bislang von Verletzungen verschont blieb.

Der 66-Jährige gehörte zum rund 50-köpfigen Schweizer Team, das von der Masters Europameisterschaft 2022 in Grosseto in Italien mit total 34 Medaillen zurückkehrte. «Es war ein super Erlebnis, sagt Stephen Dunlop, «als Wettkampf und als Genuss.» Bis zum nächsten Highlight dauert es nicht lange. Denn vom 7. bis 9. Juli findet in Adelboden die Masters Berglauf- und Trailrunning-Europameisterschaft statt. Smrun hat den Anlass in die Schweiz geholt und tritt als Mitorganisator auf. Präsident René Fürst ist stolz auf dieses zusätzliche sportliche Highlight im Jubiläumsjahr.

Wer an der EM für das Team Schweiz starten möchte, braucht keine sportlichen Qualifikationen vorzuweisen. Voraussetzung ist indes die Mitgliedschaft bei smrun. Dies entsprechend den Vorschriften von European Masters Athletics. Verbunden mit der Hoffnung, möglichst viele Neumitglieder zu gewinnen, hat man bei smrun attraktive Starterpakete zusammengestellt. 

Die statuarischen Hauptaktivitäten sind auf die Teilnahme an Wettkämpfen ausgerichtet. Ergänzt werden sie mit Wanderungen und regelmässigen Höcks in den Regionen, als Treffpunkte für ehemalige Läuferinnen und Läufer. «Für die meistens Läufer zählen die herrlichen Gefühle von Leistungsfähigkeit, Gesundheit, Lebensfreude und Kameradschaft. Das ist für uns das Wesentliche.» So steht es in einem Heft zum 25-jährigen Jubiläum 1998. Sinngemäss trifft diese Philosophie auch 25 Jahre später noch zu. Wobei der kräftig gestiegene Frauenanteil dem Verein guttut. Und er soll noch weiter anwachsen. Heute sind rund ein Drittel der Mitglieder Frauen.

(Robert Peterhans, FIT for LIFE)