Photo: Anita Weyermann

«Ich könnte nie einfach mitjoggen»

Noch immer ist Anita Weyermann in der Schweizer Leichtathletik präsent: als Schweizer Rekordhalterin, prägende Athletin der 90-er und 0-er-Jahre, Laufleiterin Swiss Athletics, Aqua-fit-Instruktorin, Nachwuchstrainerin. Heute ist die Bernerin 46, Mutter, Radio-Redaktorin – und sportlich breit unterwegs.

Anita Weyermann, wie ist heute deine Beziehung zu deinen vier bekanntesten Worten: «Gring abe u seckle»?
(Lacht). Diesen Satz ist zum Teil immer noch zu hören. Ich sehe ihn als Spruch. Er hat aber nicht nur im Sport eine Bedeutung. Er passt noch immer zu mir: hart schaffen, etwas leisten, wenn du etwas tust, dann gut. Und irgendwann kommt etwas zurück. Hinter diesem Sinn stehe ich noch immer – und zwar in verschiedensten Lebensbereichen. Mir hat diese Einstellung im ganzen Leben geholfen: etwa, als die vier Kinder noch klein waren. Ich ging immer unter dem Motto Gring abe u seckle durchs Leben.

Was war mit nun mehr als 20 Jahren Distanz das Wichtigste deiner Karriere?
Der Gewinn der WM-Bronzemedaille über 1500 m 1997 in Athen – Outdoor. Das ist mein herausragendes Ergebnis. Für mich persönlich extrem wertvoll und schön ist auch der Sieg an der Cross-EM 1999. Dort wäre es nicht besser gegangen. Im Cross zählt nur der Rang. Da ertönte die Nationalhymne nach einer Entscheidung, in der die Langstrecklerinnen und die Mittelstrecklerinnen für den Top-Rang gekämpft hatten.

Welchen Einfluss haben jene Erfolge auf deinen heutigen Alltag?
Keinen. Für die Kinder, die bei uns in Kehrsatz ins Leichtathletik-Training kommen, sind die Kambundji-Schwestern die grossen Vorbilder. Zum Teil sind es auch andere. Aber der Name Anita Weyermann spielt da keine Rolle. Das liegt so weit zurück…

Und wenn du in der Trainierausbildung (esa) mit Erwachsenen arbeitest?
Dann ist mein Name vielen bekannt. Das kann von Vorteil sein. Die Kursteilnehmerinnen und Teilnehmer wissen, dass sie es mit einer Person zu tun haben, die weiss, worum es geht….

Aber?
Nur vorteilhaft ist dieser Hintergrund nicht. Ich bekomme oft zu spüren, dass ich zu extrem denke für viele. Ich treffe immer wieder auf Leute, die überzeugt sind: «Zwei Mal pro Woche Sport, läck ist das viel.» Ich entgegne dann, gerade bezogen auf den Laufbereich: «Es braucht Aufwand. Talent allein führt nirgends hin.» 

Welche Rolle spielt das Laufen, ja der Sport generell für dich?
Sport ist für mich immer sehr wichtig gewesen. Ich war immer jemand, der Bewegung brauchte. Als Kind war ich sehr mühsam. Heute kann ich meinen Bewegungsdrang kanalisieren. Noch immer laufe ich gerne. Das ist die Sportart, in der ich am meisten Talent mitbringe. Gerne betreibe ich aber auch anderes.

Wie steht es mit Wettkämpfen?
An den Läufen vor unserer Haustür bin ich dabei: etwa bei der Gurten Classic oder am Chäsitzer Louf. Schliesslich will ich ja, dass auch die Kinder des TV mitmachen.

Und was erkennst du in solchen Augenblicken?
Lacht. Wenn ich eine Startnummer auf der Brust festmache, ist der Ehrgeiz sofort wieder da. Ich könnte nie einfach mitjoggen. Ich gebe mein Bestes – auch wenn ich nicht seriös vorbereitet bin.

Nicht seriös vorbereitet?
Ja, zum Beispiel war abgemacht, dass ich für Radio BeO im Ziel des Glacier 3000 Interviews liefere. Statt mit dem Medientross hochzufahren, sagte ich mir: Warum nicht selber hochlaufen? Das geht in derselben Zeit. Also rannte die 26,2 km mit den gut 2000 Höhenmetern spontan. Ich muss immer wieder selbst über mich lachen, wie ich ticke. (Anm.: Weyermann belegte Rang 6). 

Heisst auch…
Ich fordere mich immer wieder gerne, und etwas mich-Quälen darf auch sein.

Wie vermittelst du und dein Mann Roland Salzmann euren Kindern (Älteste 12, Drillinge 10) den Sport?
Wir sind oft unterwegs – mit den Ski, zu Fuss, mit dem Velo. Und in der Leichtathletik-Gruppe von Roland und mir sind alle unsere vier dabei. Sie dürfen, müssen aber nicht. Und generell. Unsere Kinder bewegen sich gerne, sie sind gerne draussen. Wichtig ist, dass sie das tun, was ihnen Spass bereitet und nicht das, was ihre Eltern cool finden.

Szenenwechsel: Du gibst auch Aquafit-Kurse.
Ich wurde als esa Expertin und Leiterin bei Ryffel Running vom Frauenverein Kehrsatz angefragt fürs Aqua-fit. Seither bin ich dabei und bin begeistert. Mein Ansatz ist derselbe wie in der Kinder-Leichtathletik: Ich will begeistern und animieren. Meine Aufgabe ist sinnvoll. Und auf den ganz unterschiedlichen Ebenen freue ich mich, wenn’s jemandem «den Ärmel reinnimmt». Auch bei älteren Leuten hilft Aktivität zu mehr Lebensqualität, egal ob nun Aqua-fit betreiben, spazieren oder sonst etwas tun. In der Gruppe fällt es zumeist leichter. Zu begeistern versuche ich auch in den Privattrainings.

Und jetzt beginnt die Saison.
Ja auch für die Breitensportläufer steht die Vorbereitung auf die Frühlingsläufe auf dem Programm. Ich biete jedes Jahr einen Vorbereitungskurs auf den Grand Prix von Bern sowie einen Anfängerkurs an. Beide Kurse starten am 2. April.

Welche Rolle spielt der Leistungssportgedanke bei dir als Trainerin?
Bei uns in der Kinder-Leichtathletik schaue ich vorrangig auf den Einsatz. Die Resultate sind nicht entscheidend. Ich glaube für alle ist es befriedigender, sich einzusetzen, Mühe zu geben, als halbherzig bei der Sache zu sein.

In der Schweizer Leichtathletik herrscht derzeit viel Dynamik und Freude. Wie erlebst du die Szene?
Grossartig. Da ist viel in Bewegung. Wir verdanken die Entwicklung u.a. unseren coolen Nachwuchsprojekten UBS Kids Cup, Mille Gruyère, Visana Sprint. Die Leichtathletik ist wieder gefragt bei den Kindern. Die Breite ist fantastisch. Und an Vorbildern verschiedenster Art fehlt es auch nicht. Diese sind am Fernsehen zu sehen. Das motiviert zusätzlich.

Ähnlich wie damals bei dir, André Bucher, Marcel Schelbert…
Heute ist das Ganze viel breiter aufgestellt. Wir haben heute diverse Aushängeschilder und es stossen immer wieder Talente nach. Die Schweizer Leichtathletik befindet sich auf einem sehr erfreulichen Niveau. An diversen Orten im ganzen Land wird hervorragend gearbeitet – in allen Disziplinen… Aber…

Ja bitte.
Es ist nicht selbstverständlich, wie viel Zeit und Energie Trainerinnen und Trainer investieren und sich engagieren. Es hängt nach wie vor viel an Einzelpersonen. Und noch immer erfolgt viel Arbeit ehrenamtlich. Zu meiner Zeit war das normal. Heute erleben wir einen Umbruch. Einfach ist dieser nicht.

Das Gespräch mit Anita Weyermann führte Jörg Greb

 

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